Humoreske von R. v. Rawitz
in: „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” vom 19.11.1909
Sie haben beide ihre Gefahren, die Großstadt und die Kleinstadt: dort, im Strudel der Welt verflacht man leicht, hier in dem ewigen Einerlei wird man oft zum Sonderling. Diese alte Erfahrung galt auch für Helmstädt und zumal für zwei der dort garnisonirenden Kompagniechefs, Hauptmann Bilischewski und Hauptmann Altenrock. Solange beide in großen Orten, der eine am Rhein, der andere in Mitteldeutschland, Leutnants gewesen waren, hatten sie Fünf gerade sein lassen und einen guten Tag gelebt. Nun aber standen sie beide fast an die zehn Jahre in dem stillen Helmstädt und kannten kaum noch etwas Anderes, als Bindensitz, Paspoilirung der fünften Garnitur, Verpassung der Mütze über den Hinterkopf und ähnliche Scherze. Dieser Diensteifer war um so löblicher, als Mars, der wohlgestaltete, weithin spähende Kriegsgott, nicht an ihrer Wiege gestanden hatte. Bilischewski mit seiner langen Figur, einem noch längeren Hals und kurzsichtigen Augen, die er stets zu verhehlen bemüht war, bildete das Gegenstück zu dem untersetzten, wohlgenährten Altenrock, dem es nie luftig und frisch genug sein konnte und der noch einen steifen Nordost bei 5 Grad R. Kälte als liebliches Lüftlein pries. Schien die Sonne, dann pflegte Altenrock von „gottesjämmerlichen Brutkasten”, „Wüste Kalahari”, „Sodom und Gomorrha” oder was es aonst nur Warmes und Feuriges auf Erden gibt, zu sprechen und zu schwören, er werde sich demnächst bei den Grönländern anwerben lassen; blies ein wenig tühler Wind, dann schauerte Bilischewski zusammen. zog Paletot und Umhang an und erklärte, das Klima Mitteleuropas gehe ersichtlich einer Vergletscherung und Eisperiode entgegen. Zufrieden waren die beiden Kompagniechefs nie und sich selber empfanden sie als greuliche Antipoden; ein bald lauter, bald leiser Hader war davon die Folge. Auch mit den hohen Vorgesetzten geriethen sie öfters in Konflikt, wobei sie freilich immer die Rolle des irdenen Topfes spielten, der von dem eisernen unsanft mitgenommen wird. Besonders oft kam dies bei den Herbstmanövern vor, weil hier auch der hohe Vorgesetzte unter den Augen noch höherer und daher auch viel weiserer Vorgesetzten ein wenig nerdös zu werden pflegt und seine Nervosität gemeinhin in wohldosirten Quantitäten gerechterweise nach unten abgibt.
So geschah es auch an dem Schlachttage, bei dem Se. Exzellenz der Herr Divisionskommandeur persönlich zugegen war. Morgens lag dichter Nebel auf den herbstlichen Fluren und der West strich um die Höhen und Wälder. Da ließ Bilischewski, der im eigenen mageren Gebein erschauerte, die Mäntel anziehen, indem er von Schonung der Truppe, Vorbeugung dezimirender Erkältungen und Mortalität bei feuchter Luft sprach. Mittags, als die Nebel längst aufgegangen waren und der Wind einlullte, wurde es warm; da ließ Altenrock die Kragen aufmachen, Binden abnehmen und kühlende Blätter unter die Heime legen. Exzellenz sah beides und monirte es bei der Kritit, als das Offizierskorps der ganzen Division im Kreise ihn umgab.
„Es ist unerhört, bei ein wenig Nebel sogleich die Leute in Pelze zu stecken," sagte er. Altenrock nickte kräftig Beifall und lächelte ironisch, was Bilischewski sehr übel aufnahm.
„Es ist aber eben so unerhört”, fuhr Exzellenz fort. „bei jedem Sonnenstrahl Maßnahmen zu treffen, als wären wir in Afrika.” Jetzt stimmte Bilischewski durch Wackeln seines langen Halses bei, und darüber war Altenrock höchst empört.
Waren sie je Feinde gewesen, so wurden sie es heute noch zehn Mal mehr. Wuthgeschwollen ritten sie neben einander von der Kritik zurück, und ohne ein Wort zu wechseln, rückten sie Beide in dasselbe Quartier, Gut und Dorf Grünfelde, ein, nachdem ihr Bataillonskommandeur Major Schmidt, sie alle Beide noch einmal kräftig gestaucht und von den „unangenehmsten Konsequenzen” gesprochen hatte.
„Ich wünsche Einheitlichkeit in meinem Betaillon,” hatte er gesagt, „Gehen Sie Hand in Hand, meine Herren, aber nicht jeder seine extravagante Spezialtour. Das bitte ich gefälligst in der Erinnerung zu behalten!” — —
Gut Grünfelde gehörte der verwittweten Geheimräthin Riechert, die, umgeben von zwei Töchtern und einer Nichte, die Herren sehr liebenswürdig empfing und ihnen das Leben so angenehm wie möglich zu machen suchte.
„Mein ganzer Besitz steht Ihnen zur Verfügung” sagte sie. „Vielleicht ist einer der Herren passionirter Jäger? Sogleich am Ende des Parks befindet sich ein lleiner See, in dessem schilfigen Ufer viel Gevögel haust. Die Jagd auf Hühner und Enten ist ja auch schon eröffnet.”
Bilischewski war alles Andere, als Waidmann, aber er that stets so, als ob er ein Nimrod sei; denn er glaubte auch dadurch seine schwachen Augen zu bemänteln und seine Felddienstfähigkeit zu beweisen. So nahm er auch jetzt die Gelegenheit wahr, prüfte mit Interesse die hübsche Flinte, die ihm von der Geheimräthin zur Verfügung gestellt wurde, und versprach, einiges Wild auf den Tisch zu liefern.
„Wir begleiten Sie nach dem See”, sagte die Hausfrau, „es ist ein hübscher Weg. Vielleicht nach dem Diner? Da ist auch die beste Schußzeit.” — —
Altenrock hörte nach diesem Gesprach nur mit halbem Ohr, denn sein Geist war ganz wo anders. Er grübelte über die bitteren Bemerkungen nach, die er heute von seinem Vorgesetzten hatte einstecken müssen, und kam zu dem Schluß, sie seien nicht ganz unberechtigt gewesen. „Ich bin wirklich etwas empfindlich,” sagte er zu sich selbst, „und ich muß etwas thun, um meiner Natur zu helfen. Ich brauche Abtühlung. Zwei kalte Bäder täglich werden sicherlich meine Temperatur herabsetzen. Außerdem werde ich mir das Haar ganz kurz abschneiden lassen, einen Millinieter lang! Und zwar noch heute. Ein Kerl bei meiner Kompagnie ist ja Barbier, der soll mich vornehmen!”
Dies geschah denn auch. Hatte Hauptmann Altenrock noch bei Tisch mit einer siattlichen schwarzen Mähne und durchzogenem Scheitel aufwarten können, so verwandelte ihn gar bald die Hand eines kundigen Musketiers und Barbiers gänzlich. Auch der Bart wurde in englischer Weise gestutzt und Altenrock fand bei einem Blick in den Spiegel sich angenehm verschönt.
„Sehr gut, mein Junge”, rief er, „sehr gut!”
„Nun aber große Abwaschung, am besten Flußbad! Ist hier nicht so ’was in der Nähe?”
„Zu befehlent” antwortete sein Bursche. „Ganz hinten am Ende des Parkes ist ein großer Teich. Heute Mittag, als wir einrückten, habe ich dort Leute baden gesehen.”
Fanmos.”, sagte der Hauptmann,„auf in die plätschernden Fluthen!”
Zehn Minuten später stand er am Rande des hübschen Gewässers, das ganz einsam und abgelegen war und in der Abendsonne freundlich schimmerte. Eine Wiese mit Gebüschen bot sich als Auskleideplatz, und bald darauf schwamm Altenrock munter wie ein Fisch dahin.
„Wasser! Wasser!”jauchzte er, „der alte Grieche hatte wirklich recht, als er sagte: „Wasser sei das Allerbeste!”
Nach einer Weile hatte er genug und wollte eben an das Ufer schwimmen, als zwischen den Baumgruppen Gewänder in lichten Farben sichtbar und Tritte hörbar wurden.
„Schockschwerenoth! — Was ist das? Ich glaube, da kommt wer! Beim Zeus und allen Himmlischen! Das sind ja die Damen des Hauses und Bilischewski! Hoffentlich gehen sie vorbei und sehen nicht her.”
Es war wirklich Frau Geheimräthin Riechert mit ihren Töchtern und dem Gaste, die im langsamen Promenadenschritt nahten. Bilischewski batte die Flinte umgehängt und ließ sich die Brutplätze der Wildenten und anderen Wasservögel zeigen. Altrock sah, daß die Geheimräthin mit der Hand nach verschiedenen Plätzen des Ufers und auf die Seefläche hindeutete. Trotzdem er im tiefen Wasser war, überlief es ihn siedend heiß: „O Gott — ob sie mich sehen? Jetzt hilft nichts, als tauchen! Ja, tauchen! Hupp!”
Mit großer Gewandtheit verschwand er unter den Fluthen, nachdem er die ganze Brust voll Athem genommen. Fast eine Minute blieb er unter Wasser, dann mußte er wieder empor zum rosigen Licht: „Brrr!”
„Tantchen! Aennchen! Herr Hauptmann! Sehen Sie doch, was da auftaucht!” rief in diesem Moment die Nichte, „dort — zwanzig Schritte vom Ufer — etwas Rundes, Graues, Glänzendes! Ein ganz glatter Kopf!”
„Wo, wo!” schrie Bilischewski, der seinen Kneifer nicht sogleich fand — „ah — ja! Ich sehe es auch! Ein Seehund! Ein veritabler Seehund — meine Damen, wie kommt so ein Vieh in Ihren See!”
„Das sind ja üble Fischräuber!” rief die Nichte. „Schießen Sie ihn ab, Herr Hauptmann, schießen Sie ihn abl”
Als Altenrock dies horte, packte ihn der Schrecken. Er begann mit Armen und Füßen zu schlagen und mit dem Munde Wasserstrahlen emporzuspritzen. Dazu brüllte er: „Fort — fort — fort — fort! Brrr! Hupp!”
Eine panische Angst ergriff die Damen, Bilischewski legte die Flinte an: „Bum!” knallte der Schuß — natürlich weit am Ziel vorbei! — —
„Mensch — Sie morden mich!” gellte eine Stimme, — dann legte sich der dicke Pulverdampf auf das Wasser, während die Geheimräthin, einer Ohnmacht nahe, auf den Rasen sank. Bilischewski und die jungen Mädchen sprangen ihr bei, und daher entging es ihnen, daß eine undefinirbare, rundliche, triefende Gestalt durch das Schilf sich hindurchdrängte, ein Bündel Kleider ergriff und dann im Galopp zwischen den nächsten Büschen verschwand.
Seit diesem Tage sind die beiden Hauptleute dicke Freunde. Sie haben im beiderseitigen, wohlverstandenen Interesse es nicht für nöthig befunden, den Einzelheiten der Seehundsjagd nachzugehen und nur erzählt, Grünefelde sei ein „reizendes Quartier” gewesen. Das Bataillon aber hat von dieser Freundschaft den Vortheil. Wenn Bilischewski friert und Altenrock schwitzt, dann konstatiren sie gemeinsam, dasß „Normaltemperatur” herrscht, und dann erntet das Exerciren stets das uneingeschränkte Lob aller hohen Vorgesetzten.
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